Embodiment, was bedeutet das?

Etwas wird im Body, in unserem Körper, verkörperlicht? Aber was, Gefühle, seelische Störungen, Denkmuster? Ja, das alles und noch mehr, zusammengefasst unter dem Begriff des “Selbst”. Es steht gerade hoch im Kurs, man hört und liest häufig von Selbstliebe und Selbstvertrauen. Das “Ich” sorgt dafür, dass wir funktionieren und unser Selbst braucht Liebe, Fürsorge, Abgrenzung und vor allem Wertschätzung, es ist das, was wir sind. Im Körper.

Selbstbildnis von Caspar David Friedrich – wo sieht man das Selbst des Menschen deutlicher, als in seinem Gesicht?


Aber was meint man denn nun genau, wenn man von dem Selbst spricht?
Im Selbst findet sich unsere Identität, unser Selbstbild, das, was wir über uns denken, wie wir uns positionieren, genauso wie unser Körpererleben und unsere Beziehungen zu anderen und zur Umwelt – unser Erleben.
Manches von unserem Selbst ist unbewusst und funktioniert einfach.
Unser Selbst kann aber auch reflektieren, nachdenken, sich, seine Umwelt und seine Beziehungen formen. Und außerdem sind da noch unsere Vorstellungen, innere Bilder und unsere Sinngebung.
Embodiment bedeutet also, dass unser Selbst “verkörperlicht” ist, dass das, was wir erleben, im Körper geschieht und über ihn erlebt wird.

Und wozu nun diese Psychosomatik 2.0? Weil man mit diesem Konzept Krankheiten im Zusammenhang mit unserem Erleben besser, einheitlicher, verstehen kann:
Mal ist der Körper ein Teil der Störung, dann ist beides krank, der Körper und das Selbst (z. B. bei chronischen Schmerzen oder Beschwerden ohne Befund),
mal drückt sich die Störung vorwiegend im Körper aus, sodass die seelische Störung manchmal in den Hintergrund tritt (Magersucht, Migräne, Traumafolgestörungen),
mal ist es der Körper, der quasi “handelt”, er macht uns Probleme (z. B. bei Angstanfälle oder Symptome von Depressionen),
oder er wird selbst zum Objekt (z. B. bei Selbstverletzungen).
(Nach “Allgemeine Psychosomatische Medizin – Verkörpertes Selbst im 21. Jh.” von Dr. Peter Henningsen)

Das Konzept von Embodiment anzuwenden heißt, dass das Selbst gesund werden muss, es als eins mit dem Körper verstanden wird, und dass der Körper unsere Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Fürsorge braucht.
Wenn wir eine Krankheitsdiagnose von außen bekommen, dann stimmt etwas für uns im Inneren und mit unserer Abgrenzung nicht, dann geht es darum, zu verstehen, was uns aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Und wie wir unsere Beziehung zu uns selbst, die Resonanz im Körper wieder ins Lot bringen.
Je nach Beschwerden brauchen wir dazu ein mitfühlendes, begleitendes Gegenüber, das uns hilft, uns im Körper wahrzunehmen und wie wir mit ihm in Beziehung sind, damit wir wieder im Körper und mit uns selbst eins sind, embodied.

Frauen und Hausarbeit, man lese und staune!

In einer Beilage der ZEIT von Mitte Juni ist über Frauen und Hausarbeit zu lesen:

“Frauen, die weniger verdienen als ihre Männer, arbeiten mehr im Haushalt. So weit, so erwartbar. Umgekehrt könnte man annehmen, dass Frauen mit einem höheren Gehalt als ihre Männer sich entsprechend weniger um Kind und Heim kümmern.
Doch das stimmt nicht. Vielmehr arbeiten Frauen mit höherem Gehalt sogar noch mehr im Haushalt als Frauen, die weniger verdienen als ihre Partner. Das Ergebnis einer Studie von Joanna Syrda von der britschen University of Bath. Die Forscherin hatte 6000 hererosexuelle Paare aus Nordamerika befragt.

Bisher gingen Wissenshaftler*innen generell davon aus, dass Frauen mehr Hausarbeit leisten, damit ihre Männer die Zeit und Energie haben, um zu arbeiten und die Familie zu versorgen. Daraus würde aber eben auch folgen, dass sich die Verteillung der häuslichen Arbeit umkehrt, wenn Frauen mehr Geld verdienen als ihre Männer.
“Seltsamerweise arbeiten Mütter aber sogar umso mehr im Haushalt, je größer der Gehaltsunterschied zum weniger verdienenden Mann ist!, sagt Syrda. Sie vermutet, dass die Vorstlelung vom “männlichen Ernährer” in den gesellschaftlichen Normen so tief verwurzelt ist, dass beide Partner es als unangenehm empfinden, wenn die Frau mehr verdeint. Womöglich versuchen sie, die Situation zu kompensieren – indem die Frauen sich noch mehr ums Zuhause kümmern und die Männer noch weniger.
Der Effekt ist bei verheirateten Paaren übrigens stärker ausgeprägt als bei unverheiratet zusammenlebenden. Warum das so ist, weiß Joanna Syrda nicht. JS”

https://bit.ly/38sUzXy

Nach der Therapie, ein Rückblick als Märchen

Das Märchen vom Ritter

von Toni Prokrastinati

Es war einmal ein Ritter, der hatte schon viele Schlachten geschlagen in seinem Leben. Im Grunde wollte er immer für das Gute kämpfen und oft war ihm das auch gelungen.

Doch der Ritter fühlte sich müde und eingeengt, irgendwie fürchtete er, seine Kraft und Stärke zu verlieren. Und das machte ihn traurig und schwermütig.

Mit Wehmut dachte er an die Zeit zurück, als er noch mit seiner anmutigen Frau und seinen Kinder in seiner Burg glückliche Tage verlebt hatte.

Aber irgendwann hatte er den Weg zurück zu seiner Burg und seinen Lieben aus den Augen verloren und so saß er nun schwer atmend auf einem Fels und stützte sich auf sein Schwert.

Gleichsam federleicht, tänzelte da ein schillernd bunter Schmetterling heran und fragte den Ritter:

“Warum öffnest du deine Rüstung und dein Kettenhemd nicht ein wenig? Du wirst dann viel freier atmen können!”

Er befolgte den Rat und wirklich, ihm wurde sogleich leichter ums Herz – warum nur war er nicht selbst darauf gekommen?

Mit einem geheimnisvollen, tiefgründigen Blick voll wohlwollender Lebensweisheit entschwebte der schillernd bunte Schmetterling und ließ den verwunderten Ritter zurück.

Dieser sammelte sich und beschloss die Suche nach dem Weg zu seiner anmutigen Frau, seinen Kindern und seiner Burg wieder aufzunehmen.

Doch der Ritter stieß auf viele Hindernisse. Hohe Berge und tiefe Täler hemmten seine Schritte und er wusste oft nicht, welchen der verschiedenen Wege und Abzweigungen er nehmen sollte.

Und so stand er einmal vor einem Fluss und kam nicht weiter. Betrübt schaute er in das Wasser, als ihm plötzlich eine zierliche Nymphe entgegenblickte und sagte:

“Schau links, schau rechts, gar viele mal,

spür´ hin, was Herz und Seel´ Dir sagen –

und bald schon wirst Du den Aufbruch wagen!”

Mit einem geheimnisvollen, tiefgründigen Blick voll wohlwollender Lebensweisheit entschwand die zierliche Nymphe in den Fluten und ließ den verwunderten Ritter zurück.

Und tatsächlich, als er mehrmals flussaufwärts und -abwärts blickte, spannte sich in der Ferne eine Brücke über den Fluss und er ahnte, dass diese ihn seinem Ziel näher bringen würde.

Und so geschah es, dass der Ritter eines sonnigen Tages seine Burg wieder fand und erreichte.

Auf der blumenreichen Wiese davor erkannte er seine anmutige Frau inmitten der spielenden Kinder. Neben ihr stand eine elfengleiche Fee.

Alle winkten sie dem Ritter freudig zu.

Als der der Ritter näher kam, bemerkte er, dass sich die Fee und seine Frau mit einem verschmitzten Lächeln zuzwinkerten und fröhlich lachten.

Mit einem geheimnisvollen, tiefgründigen Blick voll wohlwollender Lebensweisheit entschwebte alsbald die anmutige Fee und ließ den nun glücklichen Ritter im Kreis seiner Lieben zurück.

Es wurde ein großes Fest gefeiert und der Ritter nahm sich vor, wenn er das nächste Mal ausziehen würde, würde er auf sein Herz und seine Seele hören und seine Burg nicht mehr aus den Augen verlieren…

                        Toni Prokastinati

Christian und die Eisenkugel

“Wie werde ich nur die Eisenkugel in meinem Bauch wieder los?” fragte Christian. Er hatte viel Traumatisches erlebt und wir hatten bereits viele Stunden daran gearbeitet, auch letzte Woche. Heute trafen wir uns per Video.
Ich war genauso ratlos wie er. Er versuchte, die Kugel in der Vorstellung nach unten Richtung Ausgang zu verschieben, um sie loszuwerden, aber durch die raue Oberfläche hing sie fest. Es war nichts zu machen. Ich überlegte, was helfen könnte.

Plötzlich tauchte über seinem Kopf ein Lichtstrahl auf, der von oben rechts direkt oben auf seinen Kopf wies. Er wirkte so beeindruckend hell und deutlich, dass ich schnell ein Foto machte und ihm zuschickte.
Christian schaute auf das Bild, nahm diesen Lichtstrahl in sich auf und fing an zu weinen.
Die Verkrampfung löste sich, dann war da nur noch Erschöpfung. Ein gutes Gefühl breitete sich aus. Es gab nichts mehr zu sagen.
Manche Therapiestunden sind magisch, ganz ohne absichtliches Tun. Geweint hatte er noch nie.

Lea fühlt sich gemobbt – eine Therapiestunde

Als Lea aus dem Urlaub wieder da ist, will sie dringend mit mir über ihre Angst vor ihrer Kollegin sprechen. Sie sitze ihr im Büro gegenüber und reagiere nicht mal mehr auf ein „Guten Morgen“, das sei unerträglich.
Sie habe Angst, dieser Ablehnung wieder ausgesetzt zu sein. Die Kollegin scheine immer schlechte Laune zu haben, weil sie unfreundlich mit ihr spreche – nur das Nötigste. Es sei nicht zum Aushalten!

Erst einmal stehe ich auch etwas hilflos vor diesem Problem und versuche, mir etwas einfallen zu lassen, womit ich, und damit auch Lea, die Situation besser verstehen kann. Ob sie schon versucht habe, mit der Kollegin zu sprechen? Ja, sagt sie, aber die Kollegin habe gemeint, sie habe kein Problem mit mir, sie blockt also ab.

„Welche Farbe hat die Kollegin, wenn sie so unwirsch ist?“, frage ich Lea.
„Ein dunkles Grün“, sagt sie und zieht ihre Augenbrauen zusammen, „oder doch eher ein dunkles Rot“. Und dann gelingt es ihr, das Rot mit dem Atem etwas heller werden zu lassen, womit sich ihr Gesicht langsam wieder etwas entspannt. Das ist ein erster Schritt, um Lea inneren Abstand zu ermöglichen, eine Technik aus der Schmerztherapie.

Ein Rollenspiel könnte helfen, denke ich.  Ich stelle mir nun vor, dass ich diese Kollegin bin, dass ich meine Anträge bearbeiten und nicht gestört werden will. Lea erscheint mir jetzt weich und überaus gefühlvoll, sie will Kontakt und Aufmerksamkeit, und das nervt mich, ich habe viel zu tun.

Wir spielen nun eine Szene, die sich im Alltag öfter wiederholt: Lea möchte etwas von der Kollegin gezeigt bekommen, fragt nach, stößt auf deren Unwillen, auf ein genervtes Aufseufzen und reagiert hilflos.
„Kannst du mir das nochmal zeigen? Das wäre schön!“, sagt sie zu mir als Kollegin. Ja genau, so ist Lea, sie bringt ihr Gefühl in die Bitte mit rein. Wie kommt es rüber, wenn sie das „wäre schön!“ weglässt? Wir wiederholen die Situation ohne diesen Zusatz. Das kommt besser rüber. Als Kollegin kann ich einfach Ja oder Nein oder Später sagen, ich kann sachlich reagieren, ohne mich auf den Kontaktwunsch einlassen oder ihn durch Unfreundlichkeit zurückweisen zu müssen. Lea versteht das Dilemma, dass sie es gut gemeint hat und ein freundliches Klima herstellen wollte, sich aber bei dieser Kollegin zurücknehmen muss. Sie kann jetzt den Konflikt aus der Perspektive der Kollegin wahrnehmen und die Kränkung löst sich auf.

„Es ist wie bei meiner Mutter, der bin ich auch zu gefühlvoll, die bremst mich immer und zieht mich damit runter.“ Lea möchte sich angenommen fühlen, so wie sie ist, mit ihrer sprudelnden Fröhlichkeit und ihren mitunter heftigen emotionalen Turbulenzen. „Ich bin ganz anders als meine Mutter, die ist ein harter Knochen“, sagt sie, und ich denke, dass Lea – wie mit der Kollegin – häufig ihre Bemühungen verstärkt, in eine harmonische Resonanz zu kommen, weil sie das braucht – und ihr Gegenüber reagiert wiederum verstärkt sachlich und realistisch. Dann hängen beide in der Polarisierung fest und der Frust wird für beide immer größer.

Dass kein guter Draht zur Kollegin da ist, wie sie sich das wünscht, kann Lea jetzt akzeptieren, auch wenn ihr das nicht leicht fällt. „Ich bin nun mal ein Sonnenschein“, sagt Lea beim Rausgehen, „aber manchen ist das eben zu viel“. Ich strahle zurück.




Feindbild Frau

Eine Doku auf arte.tv, hier der leicht gekürzte Text:
Täglich werden Frauen von Männern sexistisch beleidigt und bedroht. Weltweit registrieren Expert:innen einen antifeministischen Backlash, der auf dem Sprung scheint, salonfähig zu werden. Besonders betroffen: Frauen in öffentlich sichtbaren Positionen – wie Politikerinnen, Schauspielerinnen oder Unternehmerinnen. Wer steckt hinter den Angriffen und was sind die Motive?

Die ehemalige Kanzlerkandidatin der Grünen und jetzige Außenministerin Annalena Baerbock wurde während des Wahlkampfs beschimpft und mit Vergewaltigung und Mord bedroht. Beleidigungen und Bedrohungen wie diese bestimmen den Alltag vieler Frauen. Sie werden bei Redebeiträgen im Parlament gezielt gestört, nach dem Kommentar eines Spiels mit Hassmails überschwemmt oder nach veröffentlichten Statements für Geflüchtete auf der Straße verfolgt.
Besonders in der anonymen Welt der sozialen Medien versuchen immer mehr Männer, das Rad der Gleichberechtigung wieder zurückzudrehen. Online beleidigen und bedrohen sie Frauen und hetzen organisiert gegen diejenigen, die sich zu kontroversen Themen äußern. Auf ihren Internetseiten verbreiten sie frauenfeindliche Thesen und vernetzen sich weltweit. Die sogenannten Maskulinisten sind überzeugt, Frauen gegenüber überlegen zu sein und kämpfen gegen die Errungenschaften des Feminismus.

Regie: Ursula Duplantier
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Herkunft :NDR
Abrufbar auf: https://www.arte.tv/de/videos/101916-000-A/feindbild-frau/?trailer=true
arte.tv: Aktuelles und Gesellschaft / Reportagen und Recherchen
Dauer 52 Min.
Verfügbar: vom 17/05/2022 bis 14/08/2022
Genre: Dokus und Reportagen
Nächste Ausstrahlung am: Mittwoch, 15. Juni um 01:00

English Version: Toni, heart palpitations and procrastination

A successful man in his prime, Toni, is sent to me by his second wife, and although he has no idea how therapy can help with his heart palpitations and insomnia, he comes and talks about his overload. He let me know right from the start that he had a good childhood and loving parents. That he has a good life. Everything is fine, he just has too much to do and can’t do enough. His large family needs him very often, but he is happy to help.

After using our conversations to delegate a few tedious tasks and implementing my suggestions for organizing his to-do’s, he comes up with another, much more difficult problem. Although his physical complaints and insomnia have improved, his busy desk is a heavy burden. He has an inexplicable resistance to doing his mail, tax returns, applications and letters, his large desk practically bends under all the paperwork. He puts off this work for far too long and, because of a guilty conscience, does not indulge in any leisure activities.

In my experience, I can’t get any further with this topic with techniques – it’s about understanding the inner resistance. In his imagination, Toni stands in front of his full desk – what does it trigger?
“I have no choice, I have to do all this.” He senses restlessness in the heart area, it moves to his head. He keeps his attention on the restlessness until it subsides. “I want to dodge, but I’m not the person to hide.” A strong belief.

In the next session, Toni imagines the full desk again and perceives his body’s reaction: “I’m unable to figure out what it feels like,” he says at first, and then: “I feel angry that I have to do all this, and a blast inside”. He wants to tackle it and senses something that is blocking him, and then he realizes with surprise that he is defiant.
Was his father strict with him during his childhood and youth? Toni says yes straight away, he always demanded a lot of performance from him.

In the course of our conversations, Toni understands how he ticks: He likes to tinker around with machines, motorcycles and bicycles until they work again, it’s about getting it right, creating something, reaching the goal. But driving around with it with relish is less interesting for him.
“Can we get rid of this?” he asks me, and I am happy about this question.
“In any case, you will be better able to deal with the internal resistance,” I answer confidently.

I know this problem from my own experience: on the one hand, I can now be more lenient with avoidance, and, on the other hand, I can set myself a deadline. And sometimes I watch myself procrastinate and I find it amusing to notice all the things I can think of that need to be done urgently. Just to see myself as someone who “has so much to do”, who has to take care of everything and is needed by others, instead of ending up unspectacularly at a desk just getting something done.

Toni, das Herzstolpern und die Prokrastination

Ein erfolgreicher Mann in den besten Jahren, Toni, wird von seiner zweiten Frau zu mir geschickt, und obwohl er keine Vorstellung davon hat, wie eine Therapie ihm bei seinem Herzstolpern und den Schlafstörungen helfen kann, kommt er und berichtet von seiner Überlastung. Er lässt mich gleich zu Beginn wissen, dass er eine gute Kindheit und liebevolle Eltern hatte. Er habe ein gutes Leben. Alles sei bestens, er habe nur zu viel zu tun und schaffe zu wenig. Er werde von seiner großen Familie sehr oft gebraucht aber helfe gern.

Nachdem er mithilfe unserer Gespräche ein paar aufwändige Aufgaben delegiert und meine Vorschläge zur Organisation seiner To-Do’s umgesetzt hat, rückt er mit einem weiteren, viel schwierigeren Problem heraus. Seine körperlichen Beschwerden und die Schlafstörungen hätten sich zwar gebessert, aber sein voller Schreibtisch belaste ihn. Er habe einen unerklärlichen Widerstand, seine Post, die Steuererklärung, Anträge und Briefe zu erledigen, sein großer Schreibtisch biege sich quasi unter dem ganzen Papierkram. Er schiebe diese Arbeiten viel zu lange auf und gönne sich aus schlechtem Gewissen keine Freizeitaktivitäten.

Nach meiner Erfahrung komme ich bei diesem Thema mit Techniken nicht weiter – es geht darum,  den inneren Widerstand zu verstehen. Toni stellt sich in der Vorstellung vor den vollen Schreibtisch – was löst er aus?
„Ich habe keine Wahl, ich muss das alles erledigen.“ Er nimmt Unruhe in der Herzgegend wahr, sie ziehe in den Kopf. Er bleibt mit der Aufmerksamkeit bei der Unruhe, bis sie sich legt. „Ich möchte ausweichen, aber ich bin niemand, der sich versteckt.“ Ein strenger Belief.

In der nächsten Stunde stellt sich Toni erneut den vollen Schreibtisch vor und nimmt seine Reaktion im Körper wahr: „Ich bin unfähig, herauszufinden, wie sich das anfühlt“, sagt er zunächst, und dann: „Ich spüre Ärger, dass ich das erledigen muss“, und innerlich eine Druckwelle. Er wolle anpacken und spüre etwas, das ihn blockiere, und dann merkt er überrascht: er sei trotzig.  
Ob sein Vater in der Kindheit und Jugend streng mit ihm gewesen sei? Toni bejaht das sofort, er habe immer viel Leistung von ihm verlangt.

Toni versteht im Laufe der Gespräche, wie er gestrickt ist: Er bastle gern an Maschinen, Motorrädern und Fahrrädern rum, bis sie wieder funktionierten, und es gehe ihm dabei darum, das hinzukriegen, etwas zu schaffen. Aber damit lustvoll herumzufahren, sei weniger interessant für ihn.
„Kriegen wir das weg?“ fragt er mich, und ich freue mich über diese Frage.
„Auf jeden Fall werden Sie besser mit dem inneren Widerstand umgehen können,“ antworte ich zuversichtlich.

Ich kenne das Problem aus eigener Erfahrung: mit dem Ausweichen kann ich inzwischen einerseits nachsichtiger umgehen und mir andererseits eine Deadline setzen. Und manchmal schaue ich mir beim Aufschieben zu und finde es lustig zu bemerken, was mir alles einfällt, was dringend zu tun ist. Nur um mich als jemand zu sehen, die „so viel zu tun hat“, die sich um alles kümmern muss und die von anderen gebraucht wird, anstatt ganz unspektakulär am Schreibtisch zu landen, wo es einfach darum geht, etwas zu erledigen.

Zoe, der Leistungsdruck und der Giftzwerg

Zoe ist eine zähe Kämpferin und ein Hochleistungsmensch. Sie kommt schon länger zur Therapie und hat schon viel verändert, vor allem den Umgang mit ihrem Partner, ihrer Mutter und ihrem Sohn, und vor allem ihre übertriebene Bereitschaft, sich zu pushen, sich Arbeitsleistungen abzuverlangen bis zum Geht-nicht-mehr. Sie geht trotz Schmerzen zur Arbeit und findet immer Gründe, warum das nicht anders geht.
Heute erzählt sie mir, dass sie konkrete Schritte eingeleitet hat, weniger zu arbeiten.
„Ich kann einfach nicht mehr“, sagt sie überzeugend, und das sehe ich genauso, länger schon als sie.

Nachdem zuletzt zu ihrem Rheuma und den Stoffwechselstörungen ein Unfall hinzukam, ein Handgelenksbruch, sodass sie die Tastatur vom PC nicht mehr bedienen konnte und lange krankgeschrieben war, berichtet sie heute, dass sie fest entschlossen sei, weniger zu arbeiten. Aber ein kleiner Teil von ihr sei anderer Meinung: „Du kannst doch nicht einfach weniger arbeiten, das muss doch noch gehen mit Vollzeit! Das geht schon, wenn du dich nur genug anstrengst…“ Da ist er wieder, der gnadenlose Innere Antreiber.

Dass Zoe nun konkrete Schritte plant und sich so sicher ist, weniger zu arbeiten, freut mich. Dennoch, dann passiert etwas, was für mich eigentlich als Therapeutin ein No-Go ist, ich bremse sie völlig unpassend:
Als Zoe sich freudig vorstellt, wie es wäre, weniger zu arbeiten und mehr Zeit zu haben, zählt sie auf, was sie dann alles tun könne, und dabei gerät sie ins Schwärmen, sie würde mehr Lebensqualität, mehr Zeit für ihre Tiere, ihre Freundinnen und zum Entspannen haben…
Und ohne nachzudenken stoppe ich sie mit den Worten, dass ihr Motiv für eine Arbeitszeitreduzierung doch etwas ernster sein, und dass sie die gewonnene Zeit vor allem für ihre Gesundheit verwenden sollte. Dabei entsteht zwar ein kleines Fragezeichen in meinem Hinterkopf, warum ich das jetzt sage, aber Zoe – und ich – übergehen meine Bemerkung. Sie sagt nur kurz „ok“ und fragt dann, was sie gegen ihr Überforderungsgefühl bei der Arbeit tun könne. Erst später geht mir ein Licht auf, warum ich so streng reagiert habe.

Ich schlage ihr vor, sich die Situation in ihrem Büro vor dem PC vorzustellen, in Ruhe wahrzunehmen, wie es sich anfühlt, und welche Gedanken ihr kommen.
„Ich muss durchhalten“, stellt sie fest, ihre Schultern seien verspannt, sie fühle sich schuldig, nicht noch mehr zu schaffen, und sie sei gerade sehr müde. Sie könnte jetzt einschlafen. Sie schaut stumpf vor sich hin.

Für mich ist dieses plötzliche müde werden ein Hinweis darauf, dass es im Hintergrund des Erlebens um Erfahrungen geht, die Zoe früher einmal gemacht hat, und die sie zu diesem Dilemma geführt haben, sozusagen eine Überlebensstrategie.
An was sie dieses Gefühl von Überforderung erinnere?
Ihre Mutter sei sehr streng gewesen, sie habe als Kind schon früh viel üben und vor allem stets gehorchen müssen. Sie habe lange ihr Hausaufgaben machen müssen, und die Mutter habe daneben gesessen. Ich denke, dass das eigentlich nichts Neues ist, bin aber sehr froh, dass es jetzt für Zoe intensiv erlebbar ist – und damit nicht nur über den Kopf veränderbar.

Es geht also um die strenge Mutter, das gehorchen und durchhalten müssen. Und plötzlich kommt mir in den Sinn, dass ich Zoe vorhin in ihrem Schwärmen für ein Leben mit mehr Freizeit gebremst habe, weil das etwas ist, was ihre Mutter getan hatte (und nach wie vor tut). Zoe kann es sich selbst noch nicht ganz erlauben, freier zu sein, und hatte deshalb vorhin etwas übertrieben geklungen, sodass ich ihre Euphorie automatisch gestoppt hatte.
„Ah“, Zoe versteht sofort, „sie haben wie meine Mutter geklungen, die hätte auch so reagiert!“ Wir kannten uns lange genug, Vertrauen war gewachsen, und ich versichere ihr, dass mir meine Reaktion leid tut.

Es klingt traurig, als Zoe sich nun deutlicher und intensiver bewusst wird, dass sie gelernt hat, dass sie nur etwas wert ist, wenn sie etwas leistet, dass sie sonst ein Nichts ist, „wie nicht vorhanden“. Sie hält betroffen inne. Ich stelle mir dieses „nicht vorhanden sein“ schrecklich vor, unterstütze sie mitfühlend und warte, ob mir etwas einfällt, was ihr hilft, inneren Abstand vom Leistungsdruck der Mutter zu gewinnen.

„Wo ist mein Vater“, fragt sie plötzlich ins Off, in den gefühlt leeren Raum. „Er ist nicht da, er ist nie da, er interessiert sich nicht für mich!“ stellt sie traurig fest. Ich signalisiere ihr, dass ich sie verstehe, und dass ich bei ihr bin.
„Das war so“, fährt sie fort, „er interessierte sich nicht für mich, und das hieß, ich bin es nicht wert“. Wir verweilen bei dieser gefühlten Erkenntnis, bis Zoe wieder auf die Gegenwart zurückkommt.

„Eigentlich blöd von mir, immer durchzuhalten!“ Ja genau, der Meinung bin ich auch. Sie hat seit Therapiebeginn von Überforderung gesprochen und einiges versucht, um das zu ändern, sie weiß, dass es sie immer kränker macht, aber jetzt, in der gefühlten Verbindung mit der Kindheitssituation, hat sie mehr Distanz dazu und sieht es mit eigenen Augen. Sie überlegt. Sie sei oberflächlich immer lustig gewesen – was ich auch an ihr mag – aber innerlich immer schon, seit der Kindheit, tieftraurig.

Ich frage nach, ob sie jetzt aufhören könne, sich zu überfordern?
Da sei noch eine kleine Stimme, antwortet sie, die meint, wenn sie sich nur genug anstrenge, könne sie so weitermachen, das ginge schon noch.
Was das für ein Teil in ihr sei, ob ihr etwas dazu einfällt?
Zoe hat viel Fantasie und stellt sogleich fest, dass das ein kleiner Giftzwerg in ihr sei.

Wo sie den hinhaben wolle?
(Wir nennen diese Methode „Introjektarbeit“: etwas, das als Elternstimme innerlich unerkannt wirkt, ein „Inneres Objekt“, das einem an der Entfaltung des eigenen Lebens hindert, als sei man noch ein Kind, das zeitlos gespeichert ist, wird bewusst gemacht, entlarvt und schrittweise verändert.)
„Er soll auf dem Mars sein“, entscheidet Zoe, „weit weg!“.
Ob sie mit ihm sprechen könne? Warum er ihr diesen Stress mache?
„Ich soll immer noch mehr leisten und mich entwickeln und alles schaffen.“
Zoe ist ungeduldig, wie es nun weitergeht, sie will den Giftzwerg weghaben, sie brauche ihn nicht in ihrem Leben!
„Geben Sie ihm eine neue Aufgabe“, schlage ich vor, „soll er Sie vielleicht daran erinnern, wenn sie mal wieder über ihre Grenzen gehen?“ Das findet Zoe super. Ihr Gesicht erhellt sich. Auch der Giftzwerg freue sich. Er solle ruhig auf dem Mars bleiben.
Zoe findet es „magisch“, dass sie sich jetzt so viel besser, entspannter und freier fühlt, und ich freue mich mit ihr.
Solche Therapiestunden, die positiv aus dem sonst mühsamen gemeinsamen Suchen und Arbeiten an kleinen Fortschritten herausragen, sind für mich so, wie das Gefühl auf dem Gipfel nach einer Bergbesteigung, die reine Freude, gemischt mit Dankbarkeit.

Little Red Riding Hood, the Idyll and Emotional Hunger

Everyone loves Little Red Riding Hood, especially grandmother, because she is such a sweet girl. She gives her a red riding hood, which it now wears all the time and which gives her its name, and it always feels enveloped and protected. It lives with her mother in an idyll, but we know that idylls aren’t right because something is missing, because they are maintained through repression. They are supposed to be harmonious and make you happy, but they are one-sided, make you sick in the long run and sometimes addictive.

What is suppressed can be found in the forest, the space of unconscious feelings, the fairy tale symbol of the uncontrolled world of experience and danger.

Little Red Riding Hood should stay on the path, says the mother, and bring cake and wine to the sick, weak grandmother, but how is it supposed to do that if it has no balance inside and always has to be good in order to receive security and attention? The mother sends the child alone into the forest, what should happen, but real care would look different.

It does not recognize the wolf, who is up to evil, as a danger. As a girl who has to be nice and provide for others, it does not know anything aggressive. What it does not find within itself or is not allowed to feel comes towards it – unrecognized – from the outside. But what is the evil, aggressive and destructive that lurks in the wolf?

Greed and unbridled hunger, excess, hunger for addicted devour, just selfish. He seduces Little Red Riding Hood by pointing out possible sensual enjoyment and arouses its desire – combined with a half-joking devaluation – that it sees and hears nothing in the secluded forest and goes there as if to school. There are such beautiful flowers! Little Red Riding Hood jumps at it. And the next flower for her bouquet for grandmother (not for herself, of course not) still seems to be much nicer for Little Red Riding Hood, the budding desire has to be increased. It can finally indulge its desires and doesn’t have to be nice and well-behaved. The girl only stops when it can’t carry any more flowers.

The wolf first wants to eat or – more precisely – devour the grandmother and then Little Red Riding Hood. Why doesn’t he eat Little Red Riding Hood right away? This makes sense on a symbolic level, because the aggressive lust in him must first devour the grandmother and free itself from her, who is infinitely kind and good. Or does the wolf just want to start with the bigger object?
The wolf does not have time to chew, greed and addictive desire must be satisfied immediately. But emotional hunger cannot be satisfied in this way, it fills the stomach until nothing more can fit in.

It must be boring and lonely, always having to be good, the same as the long way to the grandmother, who needs refreshment. And the opposite is just as intense, the liberated lust.
From a psychological point of view, Little Red Riding Hood suffers from “unbalanced mental malnutrition” until the wolf appears. And this malnutrition is physically and mentally a so-called starvation-disease.
As Sigmund Freud wrote: Every indulgence is also a neglect. How could Little Red Riding Hood have learned to deal with lustful, selfish and aggressive parts?

The wolf also devours Little Red Riding Hood, who at her grandmother’s bed doesn’t realize that it has the big bad wolf in front of him. It is surprised and cannot believe that it is the grandmother who has such a big mouth. Maybe that’s how it is?
An ingenious twist of the story is, that the grandmother and the wolf are now one and the same, filling themselves with the vibrancy of others. Being nice is one thing, being alive is another. So far, the grandmother had no downsides. And so Little Red Riding Hood again does not recognize the danger.

Carl Spitzweg

After the wolf has eaten both of them, he sleeps soundly, unconscious and defenseless, so that the hunter, who stands for the good, caring father and who had wanted to look after the grandmother, can cut open his stomach and save them both. They are unharmed and Little Red Riding Hood becomes active, it fills the wolf’s belly with stones, dead material, so that it falls dead from the weight. It now vows never to stray from the path again.

Do we not have a doubt about that? But comforting is the conviction that one can fall back behind a conscious experience once made, but quickly remember it, find one’s own way again and preserve oneself.