Liegt das Glück in mir?

Die Quellen des Glücks liegen innen, in meinem Selbst, ich muss in der Tiefe suchen, mich vielleicht belehren lassen, mich finden, Buddha, Seneca und Menschen wie Mutter Theresa fragen, mein Ego überwinden, herausfinden, was ich (wirklich) will, Ziele setzen und erreichen oder einfach bescheidener sein. Das habe ich gedacht und vermutlich ganz viele andere auch. Dass es an und in mir liegt, das Geheimnis des glücklich seins.

Wer kennt es und zeigt mir den Weg? Schaffe ich das, bis ich alt und grau bin, glücklich zu sein? Mutter Theresa war jedenfalls sehr unglücklich, sie fühlte in sich ein schwarzes Loch, das wissen wir aus ihren Tagebüchern. Buddha war am Ende seines Lebens immerhin zufrieden als Fährmann, so beschreibt es Hermann Hesse in „Siddharta“. Aber was ist mein eigener, persönlicher Schlüssel zum Glück? Zufriedenheit finde ich langweilig, weil ich es mit Stillstand verbinde, während doch alles Lebendige wachsen will.

Vielleicht geht es gar nicht um Glück im Leben? Auch das ist eine wichtige Frage. Stefan Aust, der ein erfülltes Leben als Korrespondent hatte, wurde im Alter gefragt, was ihn glücklich macht, und die Antwort machte mich nachdenklich: es sei ihm nie um glücklich sein gegangen.

„Meine Mutter will Zufriedenheit, ich will glücklich sein, Zufriedenheit reicht mir nicht!“ sagt meine Patientin Rita neulich zu mir. Das weiß sie sicher. Aber sie kommt zu mir, weil sie die Tage voller grauer Sinnlosigkeitsgefühle überwinden will und nicht weiß, wie. Der Schlüssel zum Unglück wird bald klar: sie will immer alles richtig machen. Sie sperrt sich ein. Festgefahrene Überzeugungen, die Lebendigkeit blockieren, die im Laufe der Kindheit oder Jugend entstanden sind zu überwinden ist mein Ziel als Psychotherapeutin, vieles löst sich erst durch Schmerz, Trauer und Körperbewusstsein, den Weg gehe ich auch für mich selbst immer wieder. Aber das allein macht noch nicht glücklich.

Das Glück liegt vielleicht gar nicht im Kopf und hängt nicht primär von der inneren Einstellung ab.
Es könnte sein, dass es vorwiegend davon abhängt, welche Quellen des Glücks ich im Außen habe, wie viel Verbundenheit ich spüre, wie ich am Leben teilnehme, wie eingefahren oder kreativ ich bei meinen alltäglichen Aktivitäten bin. Lasse ich mir am Tag Freiräume und Luft zum Atmen?

Gerald Hüther, der bekannte Neurowissenschaftler, wird nicht müde, in seinem Podcast über das Altwerden zu wiederholen, dass unser Gehirn Glückshormone ausschüttet, wenn wir uns gern um etwas kümmern und die anerzogene Orientierung am Funktionieren und Arbeiten überwinden. Das Gehirn sei plastisch. Macht etwas Neues und verbindet euch mit anderen Menschen! Das ist seine Botschaft.

Wenn wir uns anderen Menschen zuwenden, fühlen wir uns lebendig, wenn wir arbeiten und Dinge erledigen, sind wir bestenfalls zufrieden. Routinen geben uns ein Gefühl der Sicherheit, aber aus ihnen auszubrechen, etwas auch mal anders zu machen als gewohnt, eine Fahrt ins Blaue zu wagen, neue Kontakte zu suchen, das alles löst das Gefühl von lebendig sein aus. Sicherheit und Geborgenheit sind wichtig, aber zu viel davon macht träge.

Geht es überhaupt um Glück? Oder ist es wichtiger, dass man Lebendigkeit sucht und dem Leben vertraut, dass man einen Schritt nach vorn macht, ohne schon genau zu wissen, was kommt, dass man nicht an immer dieselben Orte fährt, dass man sich bewegt und sich bewegen lässt, und dass man dabei die Kriterien „wie werde ich gesehen, was erreiche ich damit, ist das sinnvoll, wie stehe ich da, kann ich das, bin ich ein guter Mensch“ usw. durch ein einziges Kriterium ersetzt, das im Kontakt entsteht: Fühlt es sich lebendig an?

Die alte Schachtel…

…bin ich selbst, und das fühlt sich gut an, und sie, die Schachtel, gefällt mir.
Als die Schachtel entstand, war sie bereits gut befüllt. Und es kam immer mehr hinzu. Im Inneren wurde es manchmal recht eng und mitunter entstand ein Durcheinander. Das war in Ordnung, denn immer wieder mal nahm jemand etwas heraus oder legte etwas Passendes hinein.

Irgendwann, nach vielen Jahren, wurde es ruhiger um sie. Wurde sie noch gebraucht?
Sie war es so gewohnt, für andere nützlich zu sein, das war ihre Bestimmung. Es ging ihr gut, aber wofür und wozu war sie jetzt noch da? Sie ahnte, dass sie ein Verfallsdatum hatte.
Sollte sie mit ihrem ruhigen Dasein zufrieden sein und die Fülle im Inneren nur noch aufbewahren? Sie selbst konnte wenig tun, sie stand im Regal und hoffte, dass etwas in ihr Leben kam, das ihr eine neue Bedeutung geben würde und Freude an ihrem Dasein.

Der Tag kam. Das Leben steht ja nicht still. Jemand stellte eine Schachtel neben sie, schön anzuschauen und mit Gebrauchsspuren, so wie sie selbst, und dann kam noch jemand und platzierte eine weitere in Sichtweite, sodass die Schachteln sich sehen konnten, und das Innere der Schachteln wurde neu geordnet.

Auch jetzt wurde Dinge herausgeholt und hineingelegt. Und manchmal nahm jemand die alte Schachtel aus dem Regal, ließ den Deckel offen stehen und schaute mit Freude auf den bunten Inhalt. Das passierte mit jeder Schachtel, und sie alle fühlten sich so wohl, geschätzt und beachtet, als hätten sie wahre Schätze in sich. Aber war es nicht so?

Wieso war es je anders gewesen?

Embodiment, was bedeutet das?

Etwas wird im Body, in unserem Körper, verkörperlicht? Aber was, Gefühle, seelische Störungen, Denkmuster? Ja, das alles und noch mehr, zusammengefasst unter dem Begriff des “Selbst”. Es steht gerade hoch im Kurs, man hört und liest häufig von Selbstliebe und Selbstvertrauen. Das “Ich” sorgt dafür, dass wir funktionieren und unser Selbst braucht Liebe, Fürsorge, Abgrenzung und vor allem Wertschätzung, es ist das, was wir sind. Im Körper.

Selbstbildnis von Caspar David Friedrich – wo sieht man das Selbst des Menschen deutlicher, als in seinem Gesicht?


Aber was meint man denn nun genau, wenn man von dem Selbst spricht?
Im Selbst findet sich unsere Identität, unser Selbstbild, das, was wir über uns denken, wie wir uns positionieren, genauso wie unser Körpererleben und unsere Beziehungen zu anderen und zur Umwelt – unser Erleben.
Manches von unserem Selbst ist unbewusst und funktioniert einfach.
Unser Selbst kann aber auch reflektieren, nachdenken, sich, seine Umwelt und seine Beziehungen formen. Und außerdem sind da noch unsere Vorstellungen, innere Bilder und unsere Sinngebung.
Embodiment bedeutet also, dass unser Selbst “verkörperlicht” ist, dass das, was wir erleben, im Körper geschieht und über ihn erlebt wird.

Und wozu nun diese Psychosomatik 2.0? Weil man mit diesem Konzept Krankheiten im Zusammenhang mit unserem Erleben besser, einheitlicher, verstehen kann:
Mal ist der Körper ein Teil der Störung, dann ist beides krank, der Körper und das Selbst (z. B. bei chronischen Schmerzen oder Beschwerden ohne Befund),
mal drückt sich die Störung vorwiegend im Körper aus, sodass die seelische Störung manchmal in den Hintergrund tritt (Magersucht, Migräne, Traumafolgestörungen),
mal ist es der Körper, der quasi “handelt”, er macht uns Probleme (z. B. bei Angstanfälle oder Symptome von Depressionen),
oder er wird selbst zum Objekt (z. B. bei Selbstverletzungen).
(Nach “Allgemeine Psychosomatische Medizin – Verkörpertes Selbst im 21. Jh.” von Dr. Peter Henningsen)

Das Konzept von Embodiment anzuwenden heißt, dass das Selbst gesund werden muss, es als eins mit dem Körper verstanden wird, und dass der Körper unsere Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Fürsorge braucht.
Wenn wir eine Krankheitsdiagnose von außen bekommen, dann stimmt etwas für uns im Inneren und mit unserer Abgrenzung nicht, dann geht es darum, zu verstehen, was uns aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Und wie wir unsere Beziehung zu uns selbst, die Resonanz im Körper wieder ins Lot bringen.
Je nach Beschwerden brauchen wir dazu ein mitfühlendes, begleitendes Gegenüber, das uns hilft, uns im Körper wahrzunehmen und wie wir mit ihm in Beziehung sind, damit wir wieder im Körper und mit uns selbst eins sind, embodied.

Frauen und Hausarbeit, man lese und staune!

In einer Beilage der ZEIT von Mitte Juni ist über Frauen und Hausarbeit zu lesen:

“Frauen, die weniger verdienen als ihre Männer, arbeiten mehr im Haushalt. So weit, so erwartbar. Umgekehrt könnte man annehmen, dass Frauen mit einem höheren Gehalt als ihre Männer sich entsprechend weniger um Kind und Heim kümmern.
Doch das stimmt nicht. Vielmehr arbeiten Frauen mit höherem Gehalt sogar noch mehr im Haushalt als Frauen, die weniger verdienen als ihre Partner. Das Ergebnis einer Studie von Joanna Syrda von der britschen University of Bath. Die Forscherin hatte 6000 hererosexuelle Paare aus Nordamerika befragt.

Bisher gingen Wissenshaftler*innen generell davon aus, dass Frauen mehr Hausarbeit leisten, damit ihre Männer die Zeit und Energie haben, um zu arbeiten und die Familie zu versorgen. Daraus würde aber eben auch folgen, dass sich die Verteillung der häuslichen Arbeit umkehrt, wenn Frauen mehr Geld verdienen als ihre Männer.
“Seltsamerweise arbeiten Mütter aber sogar umso mehr im Haushalt, je größer der Gehaltsunterschied zum weniger verdienenden Mann ist!, sagt Syrda. Sie vermutet, dass die Vorstlelung vom “männlichen Ernährer” in den gesellschaftlichen Normen so tief verwurzelt ist, dass beide Partner es als unangenehm empfinden, wenn die Frau mehr verdeint. Womöglich versuchen sie, die Situation zu kompensieren – indem die Frauen sich noch mehr ums Zuhause kümmern und die Männer noch weniger.
Der Effekt ist bei verheirateten Paaren übrigens stärker ausgeprägt als bei unverheiratet zusammenlebenden. Warum das so ist, weiß Joanna Syrda nicht. JS”

https://bit.ly/38sUzXy

Nach der Therapie, ein Rückblick als Märchen

Das Märchen vom Ritter

von Toni Prokrastinati

Es war einmal ein Ritter, der hatte schon viele Schlachten geschlagen in seinem Leben. Im Grunde wollte er immer für das Gute kämpfen und oft war ihm das auch gelungen.

Doch der Ritter fühlte sich müde und eingeengt, irgendwie fürchtete er, seine Kraft und Stärke zu verlieren. Und das machte ihn traurig und schwermütig.

Mit Wehmut dachte er an die Zeit zurück, als er noch mit seiner anmutigen Frau und seinen Kinder in seiner Burg glückliche Tage verlebt hatte.

Aber irgendwann hatte er den Weg zurück zu seiner Burg und seinen Lieben aus den Augen verloren und so saß er nun schwer atmend auf einem Fels und stützte sich auf sein Schwert.

Gleichsam federleicht, tänzelte da ein schillernd bunter Schmetterling heran und fragte den Ritter:

“Warum öffnest du deine Rüstung und dein Kettenhemd nicht ein wenig? Du wirst dann viel freier atmen können!”

Er befolgte den Rat und wirklich, ihm wurde sogleich leichter ums Herz – warum nur war er nicht selbst darauf gekommen?

Mit einem geheimnisvollen, tiefgründigen Blick voll wohlwollender Lebensweisheit entschwebte der schillernd bunte Schmetterling und ließ den verwunderten Ritter zurück.

Dieser sammelte sich und beschloss die Suche nach dem Weg zu seiner anmutigen Frau, seinen Kindern und seiner Burg wieder aufzunehmen.

Doch der Ritter stieß auf viele Hindernisse. Hohe Berge und tiefe Täler hemmten seine Schritte und er wusste oft nicht, welchen der verschiedenen Wege und Abzweigungen er nehmen sollte.

Und so stand er einmal vor einem Fluss und kam nicht weiter. Betrübt schaute er in das Wasser, als ihm plötzlich eine zierliche Nymphe entgegenblickte und sagte:

“Schau links, schau rechts, gar viele mal,

spür´ hin, was Herz und Seel´ Dir sagen –

und bald schon wirst Du den Aufbruch wagen!”

Mit einem geheimnisvollen, tiefgründigen Blick voll wohlwollender Lebensweisheit entschwand die zierliche Nymphe in den Fluten und ließ den verwunderten Ritter zurück.

Und tatsächlich, als er mehrmals flussaufwärts und -abwärts blickte, spannte sich in der Ferne eine Brücke über den Fluss und er ahnte, dass diese ihn seinem Ziel näher bringen würde.

Und so geschah es, dass der Ritter eines sonnigen Tages seine Burg wieder fand und erreichte.

Auf der blumenreichen Wiese davor erkannte er seine anmutige Frau inmitten der spielenden Kinder. Neben ihr stand eine elfengleiche Fee.

Alle winkten sie dem Ritter freudig zu.

Als der der Ritter näher kam, bemerkte er, dass sich die Fee und seine Frau mit einem verschmitzten Lächeln zuzwinkerten und fröhlich lachten.

Mit einem geheimnisvollen, tiefgründigen Blick voll wohlwollender Lebensweisheit entschwebte alsbald die anmutige Fee und ließ den nun glücklichen Ritter im Kreis seiner Lieben zurück.

Es wurde ein großes Fest gefeiert und der Ritter nahm sich vor, wenn er das nächste Mal ausziehen würde, würde er auf sein Herz und seine Seele hören und seine Burg nicht mehr aus den Augen verlieren…

                        Toni Prokastinati

Christian und die Eisenkugel

“Wie werde ich nur die Eisenkugel in meinem Bauch wieder los?” fragte Christian. Er hatte viel Traumatisches erlebt und wir hatten bereits viele Stunden daran gearbeitet, auch letzte Woche. Heute trafen wir uns per Video.
Ich war genauso ratlos wie er. Er versuchte, die Kugel in der Vorstellung nach unten Richtung Ausgang zu verschieben, um sie loszuwerden, aber durch die raue Oberfläche hing sie fest. Es war nichts zu machen. Ich überlegte, was helfen könnte.

Plötzlich tauchte über seinem Kopf ein Lichtstrahl auf, der von oben rechts direkt oben auf seinen Kopf wies. Er wirkte so beeindruckend hell und deutlich, dass ich schnell ein Foto machte und ihm zuschickte.
Christian schaute auf das Bild, nahm diesen Lichtstrahl in sich auf und fing an zu weinen.
Die Verkrampfung löste sich, dann war da nur noch Erschöpfung. Ein gutes Gefühl breitete sich aus. Es gab nichts mehr zu sagen.
Manche Therapiestunden sind magisch, ganz ohne absichtliches Tun. Geweint hatte er noch nie.

Lea fühlt sich gemobbt – eine Therapiestunde

Als Lea aus dem Urlaub wieder da ist, will sie dringend mit mir über ihre Angst vor ihrer Kollegin sprechen. Sie sitze ihr im Büro gegenüber und reagiere nicht mal mehr auf ein „Guten Morgen“, das sei unerträglich.
Sie habe Angst, dieser Ablehnung wieder ausgesetzt zu sein. Die Kollegin scheine immer schlechte Laune zu haben, weil sie unfreundlich mit ihr spreche – nur das Nötigste. Es sei nicht zum Aushalten!

Erst einmal stehe ich auch etwas hilflos vor diesem Problem und versuche, mir etwas einfallen zu lassen, womit ich, und damit auch Lea, die Situation besser verstehen kann. Ob sie schon versucht habe, mit der Kollegin zu sprechen? Ja, sagt sie, aber die Kollegin habe gemeint, sie habe kein Problem mit mir, sie blockt also ab.

„Welche Farbe hat die Kollegin, wenn sie so unwirsch ist?“, frage ich Lea.
„Ein dunkles Grün“, sagt sie und zieht ihre Augenbrauen zusammen, „oder doch eher ein dunkles Rot“. Und dann gelingt es ihr, das Rot mit dem Atem etwas heller werden zu lassen, womit sich ihr Gesicht langsam wieder etwas entspannt. Das ist ein erster Schritt, um Lea inneren Abstand zu ermöglichen, eine Technik aus der Schmerztherapie.

Ein Rollenspiel könnte helfen, denke ich.  Ich stelle mir nun vor, dass ich diese Kollegin bin, dass ich meine Anträge bearbeiten und nicht gestört werden will. Lea erscheint mir jetzt weich und überaus gefühlvoll, sie will Kontakt und Aufmerksamkeit, und das nervt mich, ich habe viel zu tun.

Wir spielen nun eine Szene, die sich im Alltag öfter wiederholt: Lea möchte etwas von der Kollegin gezeigt bekommen, fragt nach, stößt auf deren Unwillen, auf ein genervtes Aufseufzen und reagiert hilflos.
„Kannst du mir das nochmal zeigen? Das wäre schön!“, sagt sie zu mir als Kollegin. Ja genau, so ist Lea, sie bringt ihr Gefühl in die Bitte mit rein. Wie kommt es rüber, wenn sie das „wäre schön!“ weglässt? Wir wiederholen die Situation ohne diesen Zusatz. Das kommt besser rüber. Als Kollegin kann ich einfach Ja oder Nein oder Später sagen, ich kann sachlich reagieren, ohne mich auf den Kontaktwunsch einlassen oder ihn durch Unfreundlichkeit zurückweisen zu müssen. Lea versteht das Dilemma, dass sie es gut gemeint hat und ein freundliches Klima herstellen wollte, sich aber bei dieser Kollegin zurücknehmen muss. Sie kann jetzt den Konflikt aus der Perspektive der Kollegin wahrnehmen und die Kränkung löst sich auf.

„Es ist wie bei meiner Mutter, der bin ich auch zu gefühlvoll, die bremst mich immer und zieht mich damit runter.“ Lea möchte sich angenommen fühlen, so wie sie ist, mit ihrer sprudelnden Fröhlichkeit und ihren mitunter heftigen emotionalen Turbulenzen. „Ich bin ganz anders als meine Mutter, die ist ein harter Knochen“, sagt sie, und ich denke, dass Lea – wie mit der Kollegin – häufig ihre Bemühungen verstärkt, in eine harmonische Resonanz zu kommen, weil sie das braucht – und ihr Gegenüber reagiert wiederum verstärkt sachlich und realistisch. Dann hängen beide in der Polarisierung fest und der Frust wird für beide immer größer.

Dass kein guter Draht zur Kollegin da ist, wie sie sich das wünscht, kann Lea jetzt akzeptieren, auch wenn ihr das nicht leicht fällt. „Ich bin nun mal ein Sonnenschein“, sagt Lea beim Rausgehen, „aber manchen ist das eben zu viel“. Ich strahle zurück.




Feindbild Frau

Eine Doku auf arte.tv, hier der leicht gekürzte Text:
Täglich werden Frauen von Männern sexistisch beleidigt und bedroht. Weltweit registrieren Expert:innen einen antifeministischen Backlash, der auf dem Sprung scheint, salonfähig zu werden. Besonders betroffen: Frauen in öffentlich sichtbaren Positionen – wie Politikerinnen, Schauspielerinnen oder Unternehmerinnen. Wer steckt hinter den Angriffen und was sind die Motive?

Die ehemalige Kanzlerkandidatin der Grünen und jetzige Außenministerin Annalena Baerbock wurde während des Wahlkampfs beschimpft und mit Vergewaltigung und Mord bedroht. Beleidigungen und Bedrohungen wie diese bestimmen den Alltag vieler Frauen. Sie werden bei Redebeiträgen im Parlament gezielt gestört, nach dem Kommentar eines Spiels mit Hassmails überschwemmt oder nach veröffentlichten Statements für Geflüchtete auf der Straße verfolgt.
Besonders in der anonymen Welt der sozialen Medien versuchen immer mehr Männer, das Rad der Gleichberechtigung wieder zurückzudrehen. Online beleidigen und bedrohen sie Frauen und hetzen organisiert gegen diejenigen, die sich zu kontroversen Themen äußern. Auf ihren Internetseiten verbreiten sie frauenfeindliche Thesen und vernetzen sich weltweit. Die sogenannten Maskulinisten sind überzeugt, Frauen gegenüber überlegen zu sein und kämpfen gegen die Errungenschaften des Feminismus.

Regie: Ursula Duplantier
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Herkunft :NDR
Abrufbar auf: https://www.arte.tv/de/videos/101916-000-A/feindbild-frau/?trailer=true
arte.tv: Aktuelles und Gesellschaft / Reportagen und Recherchen
Dauer 52 Min.
Verfügbar: vom 17/05/2022 bis 14/08/2022
Genre: Dokus und Reportagen
Nächste Ausstrahlung am: Mittwoch, 15. Juni um 01:00

English Version: Toni, heart palpitations and procrastination

A successful man in his prime, Toni, is sent to me by his second wife, and although he has no idea how therapy can help with his heart palpitations and insomnia, he comes and talks about his overload. He let me know right from the start that he had a good childhood and loving parents. That he has a good life. Everything is fine, he just has too much to do and can’t do enough. His large family needs him very often, but he is happy to help.

After using our conversations to delegate a few tedious tasks and implementing my suggestions for organizing his to-do’s, he comes up with another, much more difficult problem. Although his physical complaints and insomnia have improved, his busy desk is a heavy burden. He has an inexplicable resistance to doing his mail, tax returns, applications and letters, his large desk practically bends under all the paperwork. He puts off this work for far too long and, because of a guilty conscience, does not indulge in any leisure activities.

In my experience, I can’t get any further with this topic with techniques – it’s about understanding the inner resistance. In his imagination, Toni stands in front of his full desk – what does it trigger?
“I have no choice, I have to do all this.” He senses restlessness in the heart area, it moves to his head. He keeps his attention on the restlessness until it subsides. “I want to dodge, but I’m not the person to hide.” A strong belief.

In the next session, Toni imagines the full desk again and perceives his body’s reaction: “I’m unable to figure out what it feels like,” he says at first, and then: “I feel angry that I have to do all this, and a blast inside”. He wants to tackle it and senses something that is blocking him, and then he realizes with surprise that he is defiant.
Was his father strict with him during his childhood and youth? Toni says yes straight away, he always demanded a lot of performance from him.

In the course of our conversations, Toni understands how he ticks: He likes to tinker around with machines, motorcycles and bicycles until they work again, it’s about getting it right, creating something, reaching the goal. But driving around with it with relish is less interesting for him.
“Can we get rid of this?” he asks me, and I am happy about this question.
“In any case, you will be better able to deal with the internal resistance,” I answer confidently.

I know this problem from my own experience: on the one hand, I can now be more lenient with avoidance, and, on the other hand, I can set myself a deadline. And sometimes I watch myself procrastinate and I find it amusing to notice all the things I can think of that need to be done urgently. Just to see myself as someone who “has so much to do”, who has to take care of everything and is needed by others, instead of ending up unspectacularly at a desk just getting something done.

Toni, das Herzstolpern und die Prokrastination

Ein erfolgreicher Mann in den besten Jahren, Toni, wird von seiner zweiten Frau zu mir geschickt, und obwohl er keine Vorstellung davon hat, wie eine Therapie ihm bei seinem Herzstolpern und den Schlafstörungen helfen kann, kommt er und berichtet von seiner Überlastung. Er lässt mich gleich zu Beginn wissen, dass er eine gute Kindheit und liebevolle Eltern hatte. Er habe ein gutes Leben. Alles sei bestens, er habe nur zu viel zu tun und schaffe zu wenig. Er werde von seiner großen Familie sehr oft gebraucht aber helfe gern.

Nachdem er mithilfe unserer Gespräche ein paar aufwändige Aufgaben delegiert und meine Vorschläge zur Organisation seiner To-Do’s umgesetzt hat, rückt er mit einem weiteren, viel schwierigeren Problem heraus. Seine körperlichen Beschwerden und die Schlafstörungen hätten sich zwar gebessert, aber sein voller Schreibtisch belaste ihn. Er habe einen unerklärlichen Widerstand, seine Post, die Steuererklärung, Anträge und Briefe zu erledigen, sein großer Schreibtisch biege sich quasi unter dem ganzen Papierkram. Er schiebe diese Arbeiten viel zu lange auf und gönne sich aus schlechtem Gewissen keine Freizeitaktivitäten.

Nach meiner Erfahrung komme ich bei diesem Thema mit Techniken nicht weiter – es geht darum,  den inneren Widerstand zu verstehen. Toni stellt sich in der Vorstellung vor den vollen Schreibtisch – was löst er aus?
„Ich habe keine Wahl, ich muss das alles erledigen.“ Er nimmt Unruhe in der Herzgegend wahr, sie ziehe in den Kopf. Er bleibt mit der Aufmerksamkeit bei der Unruhe, bis sie sich legt. „Ich möchte ausweichen, aber ich bin niemand, der sich versteckt.“ Ein strenger Belief.

In der nächsten Stunde stellt sich Toni erneut den vollen Schreibtisch vor und nimmt seine Reaktion im Körper wahr: „Ich bin unfähig, herauszufinden, wie sich das anfühlt“, sagt er zunächst, und dann: „Ich spüre Ärger, dass ich das erledigen muss“, und innerlich eine Druckwelle. Er wolle anpacken und spüre etwas, das ihn blockiere, und dann merkt er überrascht: er sei trotzig.  
Ob sein Vater in der Kindheit und Jugend streng mit ihm gewesen sei? Toni bejaht das sofort, er habe immer viel Leistung von ihm verlangt.

Toni versteht im Laufe der Gespräche, wie er gestrickt ist: Er bastle gern an Maschinen, Motorrädern und Fahrrädern rum, bis sie wieder funktionierten, und es gehe ihm dabei darum, das hinzukriegen, etwas zu schaffen. Aber damit lustvoll herumzufahren, sei weniger interessant für ihn.
„Kriegen wir das weg?“ fragt er mich, und ich freue mich über diese Frage.
„Auf jeden Fall werden Sie besser mit dem inneren Widerstand umgehen können,“ antworte ich zuversichtlich.

Ich kenne das Problem aus eigener Erfahrung: mit dem Ausweichen kann ich inzwischen einerseits nachsichtiger umgehen und mir andererseits eine Deadline setzen. Und manchmal schaue ich mir beim Aufschieben zu und finde es lustig zu bemerken, was mir alles einfällt, was dringend zu tun ist. Nur um mich als jemand zu sehen, die „so viel zu tun hat“, die sich um alles kümmern muss und die von anderen gebraucht wird, anstatt ganz unspektakulär am Schreibtisch zu landen, wo es einfach darum geht, etwas zu erledigen.