Verfluchte Weihnachtsplätzchen

Eine ehemalige Nachbarin hatte mich gefragt, ob sie mir etwas vorbeibringen könne, und so kurz vor Weihnachten nahm ich an, es handle sich um eine kleine Aufmerksamkeit, vielleicht sogar ihre leckeren Plätzchen, und freute mich.
Als sie dann mit einer weihnachtlich verzierten Schale mit schön gestalteten Plätzchen vor der Tür stand, verzog sie zunächst keine Miene, überreichte sie mir wortlos und fing dann an zu wettern: Sie werde niemals mehr zu Weihnachten backen! Das sei das letzte Mal! Damit sei jetzt Schluss! Sie hasse backen! Sie habe tagelang in der Küche gestanden, und dann werde es einfach aufgegessen, was so viel Mühe gemacht habe! Sie habe es verflucht, dies Weihnachtsbacken, damit sei jetzt ein für alle Mal Schluss!

Ich stand wie vom Donner gerührt da von diesem Schwall von Hass, sie hatte die Plätzchen bzw. das Backen verflucht? Ich war wie vom Blitz getroffen, und brachte gerade noch ein „Frohe Weihnachten“ heraus, bevor sie sich schnell umdrehte und ging.
In mir kochte es, etwas Heftiges war von außen in mich eingedrungen, und ich nahm mir vor, meine Familie damit zu verschonen.
Allerdings merkte man mir an meiner aggressiv getönten Ausstrahlung an, dass etwas geschehen war.
„Ich will nicht darüber reden,“ sagte ich kurz und lenkte mich mit Arbeit in der Küche ab.
Ich war wütend. Was sollte das, fragte ich mich, die freundliche Geste einerseits und die Hasstirade andererseits? Wie konnte sie mir das zumuten! Ich wollte diese Plätzchen auf keinen Fall essen! Ich wollte sie weghaben, als könnte ich mich damit auch von dem Hass befreien.
Auf Nachfragen meiner Familie musste ich später doch Farbe bekennen und erzählte, wie die Übergabe der Plätzchen verlaufen war.
„Ich werde sie verschenken! Essen werde ich sie nicht!“ sagte ich entschlossen und immer noch wütend. Damit war meine Familie nicht einverstanden. Das gehöre sich nicht, das könne ich nicht machen. Hm. Ok. Was dann? Ich fühlte mich ausgebremst und ratlos. Zum Wegwerfen waren sie zu schade, das kam nicht infrage. Wie wurde ich meine Wut los?
Ich lenkte mich erst einmal weiter ab, kochte Tee und telefonierte mit Freunden. Dabei ließ das Gefühl von Überflutung und innerer Abwehr langsam weiter nach.
Wie kam ich innerlich zur Ruhe und wieder in Frieden mit mir und der alten Nachbarin?
Nach einer Weile fiel mir ein, dass die Nachbarin länger krank gewesen war und unter Luftnot litt. Sie hatte kein gutes Jahr gehabt. Hm. Ok. Ich war mit meinen Gedanken bei ihr und sie tat mir nun auch ein bisschen leid.
Langsam erwärmte sich mein Herz wieder ein wenig.
Ich konnte langsam nachvollziehen, dass dieser Schwall von Aggression aus ihr herausgebrochen war. Sie hatte sich mit dem Backen überfordert, weil sie die Erwartung der Nachbarn nicht enttäuschen wollte, die ihre besonders guten Plätzchen seit Jahren schätzten. Sie hatte einfach nicht Nein sagen können.Das kannte ich. Von mir. Gut sogar. In mir war nun etwas weich wie ein Marshmallow.


Es war plötzlich leicht für mich zu erkennen, dass ich mich auch manchmal überforderte.
Bevor ich Nein sage, nehme ich immer wieder mal aus Gutmütigkeit etwas auf mich, möchte  anderen einen Gefallen tun – und ärgere ich mich hinterher, wenn es mir zu viel war. Ich verstand sie jetzt, und es gab dadurch wieder einen Horizont von Freundlichkeit mit ihr.
Dennoch, die Aggression der Nachbarin war schwer auszuhalten und eine heftige Zumutung gewesen, und ich spürte noch, wie sie mich getroffen hatte. Aber es beschäftigte mich jetzt weniger.
 


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