Zoe, der Leistungsdruck und der Giftzwerg

Zoe ist eine zähe Kämpferin und ein Hochleistungsmensch. Sie kommt schon länger zur Therapie und hat schon viel verändert, vor allem den Umgang mit ihrem Partner, ihrer Mutter und ihrem Sohn, und vor allem ihre übertriebene Bereitschaft, sich zu pushen, sich Arbeitsleistungen abzuverlangen bis zum Geht-nicht-mehr. Sie geht trotz Schmerzen zur Arbeit und findet immer Gründe, warum das nicht anders geht.
Heute erzählt sie mir, dass sie konkrete Schritte eingeleitet hat, weniger zu arbeiten.
„Ich kann einfach nicht mehr“, sagt sie überzeugend, und das sehe ich genauso, länger schon als sie.

Nachdem zuletzt zu ihrem Rheuma und den Stoffwechselstörungen ein Unfall hinzukam, ein Handgelenksbruch, sodass sie die Tastatur vom PC nicht mehr bedienen konnte und lange krankgeschrieben war, berichtet sie heute, dass sie fest entschlossen sei, weniger zu arbeiten. Aber ein kleiner Teil von ihr sei anderer Meinung: „Du kannst doch nicht einfach weniger arbeiten, das muss doch noch gehen mit Vollzeit! Das geht schon, wenn du dich nur genug anstrengst…“ Da ist er wieder, der gnadenlose Innere Antreiber.

Dass Zoe nun konkrete Schritte plant und sich so sicher ist, weniger zu arbeiten, freut mich. Dennoch, dann passiert etwas, was für mich eigentlich als Therapeutin ein No-Go ist, ich bremse sie völlig unpassend:
Als Zoe sich freudig vorstellt, wie es wäre, weniger zu arbeiten und mehr Zeit zu haben, zählt sie auf, was sie dann alles tun könne, und dabei gerät sie ins Schwärmen, sie würde mehr Lebensqualität, mehr Zeit für ihre Tiere, ihre Freundinnen und zum Entspannen haben…
Und ohne nachzudenken stoppe ich sie mit den Worten, dass ihr Motiv für eine Arbeitszeitreduzierung doch etwas ernster sein, und dass sie die gewonnene Zeit vor allem für ihre Gesundheit verwenden sollte. Dabei entsteht zwar ein kleines Fragezeichen in meinem Hinterkopf, warum ich das jetzt sage, aber Zoe – und ich – übergehen meine Bemerkung. Sie sagt nur kurz „ok“ und fragt dann, was sie gegen ihr Überforderungsgefühl bei der Arbeit tun könne. Erst später geht mir ein Licht auf, warum ich so streng reagiert habe.

Ich schlage ihr vor, sich die Situation in ihrem Büro vor dem PC vorzustellen, in Ruhe wahrzunehmen, wie es sich anfühlt, und welche Gedanken ihr kommen.
„Ich muss durchhalten“, stellt sie fest, ihre Schultern seien verspannt, sie fühle sich schuldig, nicht noch mehr zu schaffen, und sie sei gerade sehr müde. Sie könnte jetzt einschlafen. Sie schaut stumpf vor sich hin.

Für mich ist dieses plötzliche müde werden ein Hinweis darauf, dass es im Hintergrund des Erlebens um Erfahrungen geht, die Zoe früher einmal gemacht hat, und die sie zu diesem Dilemma geführt haben, sozusagen eine Überlebensstrategie.
An was sie dieses Gefühl von Überforderung erinnere?
Ihre Mutter sei sehr streng gewesen, sie habe als Kind schon früh viel üben und vor allem stets gehorchen müssen. Sie habe lange ihr Hausaufgaben machen müssen, und die Mutter habe daneben gesessen. Ich denke, dass das eigentlich nichts Neues ist, bin aber sehr froh, dass es jetzt für Zoe intensiv erlebbar ist – und damit nicht nur über den Kopf veränderbar.

Es geht also um die strenge Mutter, das gehorchen und durchhalten müssen. Und plötzlich kommt mir in den Sinn, dass ich Zoe vorhin in ihrem Schwärmen für ein Leben mit mehr Freizeit gebremst habe, weil das etwas ist, was ihre Mutter getan hatte (und nach wie vor tut). Zoe kann es sich selbst noch nicht ganz erlauben, freier zu sein, und hatte deshalb vorhin etwas übertrieben geklungen, sodass ich ihre Euphorie automatisch gestoppt hatte.
„Ah“, Zoe versteht sofort, „sie haben wie meine Mutter geklungen, die hätte auch so reagiert!“ Wir kannten uns lange genug, Vertrauen war gewachsen, und ich versichere ihr, dass mir meine Reaktion leid tut.

Es klingt traurig, als Zoe sich nun deutlicher und intensiver bewusst wird, dass sie gelernt hat, dass sie nur etwas wert ist, wenn sie etwas leistet, dass sie sonst ein Nichts ist, „wie nicht vorhanden“. Sie hält betroffen inne. Ich stelle mir dieses „nicht vorhanden sein“ schrecklich vor, unterstütze sie mitfühlend und warte, ob mir etwas einfällt, was ihr hilft, inneren Abstand vom Leistungsdruck der Mutter zu gewinnen.

„Wo ist mein Vater“, fragt sie plötzlich ins Off, in den gefühlt leeren Raum. „Er ist nicht da, er ist nie da, er interessiert sich nicht für mich!“ stellt sie traurig fest. Ich signalisiere ihr, dass ich sie verstehe, und dass ich bei ihr bin.
„Das war so“, fährt sie fort, „er interessierte sich nicht für mich, und das hieß, ich bin es nicht wert“. Wir verweilen bei dieser gefühlten Erkenntnis, bis Zoe wieder auf die Gegenwart zurückkommt.

„Eigentlich blöd von mir, immer durchzuhalten!“ Ja genau, der Meinung bin ich auch. Sie hat seit Therapiebeginn von Überforderung gesprochen und einiges versucht, um das zu ändern, sie weiß, dass es sie immer kränker macht, aber jetzt, in der gefühlten Verbindung mit der Kindheitssituation, hat sie mehr Distanz dazu und sieht es mit eigenen Augen. Sie überlegt. Sie sei oberflächlich immer lustig gewesen – was ich auch an ihr mag – aber innerlich immer schon, seit der Kindheit, tieftraurig.

Ich frage nach, ob sie jetzt aufhören könne, sich zu überfordern?
Da sei noch eine kleine Stimme, antwortet sie, die meint, wenn sie sich nur genug anstrenge, könne sie so weitermachen, das ginge schon noch.
Was das für ein Teil in ihr sei, ob ihr etwas dazu einfällt?
Zoe hat viel Fantasie und stellt sogleich fest, dass das ein kleiner Giftzwerg in ihr sei.

Wo sie den hinhaben wolle?
(Wir nennen diese Methode „Introjektarbeit“: etwas, das als Elternstimme innerlich unerkannt wirkt, ein „Inneres Objekt“, das einem an der Entfaltung des eigenen Lebens hindert, als sei man noch ein Kind, das zeitlos gespeichert ist, wird bewusst gemacht, entlarvt und schrittweise verändert.)
„Er soll auf dem Mars sein“, entscheidet Zoe, „weit weg!“.
Ob sie mit ihm sprechen könne? Warum er ihr diesen Stress mache?
„Ich soll immer noch mehr leisten und mich entwickeln und alles schaffen.“
Zoe ist ungeduldig, wie es nun weitergeht, sie will den Giftzwerg weghaben, sie brauche ihn nicht in ihrem Leben!
„Geben Sie ihm eine neue Aufgabe“, schlage ich vor, „soll er Sie vielleicht daran erinnern, wenn sie mal wieder über ihre Grenzen gehen?“ Das findet Zoe super. Ihr Gesicht erhellt sich. Auch der Giftzwerg freue sich. Er solle ruhig auf dem Mars bleiben.
Zoe findet es „magisch“, dass sie sich jetzt so viel besser, entspannter und freier fühlt, und ich freue mich mit ihr.
Solche Therapiestunden, die positiv aus dem sonst mühsamen gemeinsamen Suchen und Arbeiten an kleinen Fortschritten herausragen, sind für mich so, wie das Gefühl auf dem Gipfel nach einer Bergbesteigung, die reine Freude, gemischt mit Dankbarkeit.

2 Kommentare zu „Zoe, der Leistungsdruck und der Giftzwerg

  1. Zu Zoe: Es ist so plastisch geschrieben, als ob man mit ihm Zimmer sitzt und alles miterlebt.
    Ich vermute, dass solche Texte dazu ermutigen, eine eigene Therapie zu wagen.

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