In manchen Märchen ist nicht mit der Hochzeit Schluss, so als wäre das zwangläufig ein glückliches Ende, sondern sie ist der Anfang von Unglück. Und das besteht mitunter in Bedrohung und Erfahrung von Gewalt für die Frau vom König oder vom Schneider – statusunabhängig.

Im Grimm’schen Märchen vom König Blaubart zum Beispiel. Als sie ihn als Tochter aus einfachen Verhältnissen auf Drängen ihres Vaters heiratet, graust sie sich vor seinem blauen Bart, und das bleibt auch in der Ehe so. Es ist wie eine düstere Ahnung. In seiner Abwesenheit darf sie alle Kammern im Schloss öffnen, nur eine nicht. Die Neugier ist jedoch größer als die Drohung, dass ihr Leben dann verwirkt sei, wenn sie es täte. Sie nimmt den kleinen goldenen Schlüssel, sperrt die Kammer auf, wirft einen Blick hinein und sieht an der Wand „lauter tote Weiber hängen“. Sehr gruselig! Sie ist also nicht die erste, die mit dem Tod bestraft werden soll. Der goldene Schlüssel, mit dem sie diese Kammer geöffnet hatte, bekommt in der Kammer Blutflecken, die sich nicht entfernen lassen, König Blaubart weiß also Bescheid, als er zurückkommt, und so soll sie sterben. Am besten sofort. Blaubart wetzt das Messer, gnadenlos, aber kurz vor knapp wird die Königin von ihren drei Brüdern gerettet und der König von ihnen getötet. Was für ein Krimi. Wir atmen auf. –
Ich lese aus dem Märchen die Botschaft, dass man eine unterdrückende Partnerschaft überleben kann, sofern man Ressourcen aus der Herkunftsfamilie hat, auf die man zurückgreifen kann. Hier sind es die drei Brüder, die sie beauftragt hatte, herbeizueilen und sie zu retten, falls sie sie mal in der Not rufen würde. Sie hatte also weise vorgesorgt für den Notfall und dem Ehemann von Anfang an misstraut. Blauäugig war sie nicht gegenüber Blaubart.
Überaus perfide erscheint mir der Dreh vom König, die Neugier seiner Frau mit dem „kleinen goldenen Schlüssel“ und dem strikten Verbot zu reizen, wohlwissend, dass Verbotenes besonders verlockend ist und keine der bisherigen Frauen widerstehen konnte. Er hat es inszeniert, dass sie sterben muss. Seine Ehefrauen sind allesamt selbst schuld, meint er vermutlich, denn sie hätten ihm ja nur gehorchen und sich seiner Herrschaft widerstandslos – isoliert auf seinem Schloss – unterwerfen müssen. Er war schließlich ein König und sie die Tochter eines einfachen Mannes.
In dem Märchen „Lieb und Leid teilen“ der Brüder Grimm erfahren wir von einem gewalttätigen Schneider, der seine Frau schlägt, und der vor die Obrigkeit kommt, weil die Nachbarn eingegriffen haben. Er muss versprechen, seine Frau nicht mehr zu schlagen, sondern „Lieb und Leid mit ihr zu teilen“. Und so greift er seine Frau zukünftig stattdessen bei den Haaren, „rauft“ und verfolgt sie und wirft scharfe Gegenstände nach ihr. Wieder kommt er vor die Obrigkeit und redet sich raus: Er habe die Auflage erfüllt, sie nicht geschlagen, und Lieb und Leid mit ihr geteilt, denn es sei ihr lieb und ihm leid gewesen, wenn er sie beim Werfen nicht getroffen habe, und umgekehrt.
Dieses Märchen erzählt von der plumpen Schläue eines einfachen Mannes, der seine Gewalt gegen die Ehefrau mit Ausreden rechtfertigt. Seine Strafe bekommt er trotzdem, die Obrigkeit lässt sich nicht täuschen.
Wie tröstlich, dass es für das Opfer von Gewalt Nachbarn und eine Instanz gibt, die einschreitet! Zum Glück gibt es in diesem Fall Nachbarn, vielleicht auch Freunde oder Freundinnen, die die Gewalt mitbekommen und sich nicht scheuen zu handeln.