Endlich, denke ich, wird das zum Thema, als ich den Artikel lese.
In Berlin wurde eine Studie der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs und der Goethe-Universität Frankfurt vorgestellt. Man stellt fest, dass diese Familien sich abschotten und für die Opfer zur „dramatischen Falle“ werden. Familien hätten das Recht auf Privatsphäre, aber man müsse fragen, wie man Kinder und Jugendliche schützen kann.
„Bis heute habe man wenig Wissen darüber, wie Kinder und Jugendliche sexuelle Gewalt in der Familie erlebten.“ Wie ist das möglich?
Unter den 870 Betroffenenberichten waren knapp 89 % Mädchen. Die Täter waren zu 44 % die Eltern, die größte Tätergruppe Väter (36 %). Wenn man Pflege- und Stiefeltern dazuzählt, kommen die Väter auf 48 %. Leibliche Mütter: 8 %, Pflege- und Stiefmütter: 2 %. Weitere Täter waren Onkel, Brüder und Großväter sowie Tanten. „Es handle sich nicht um individuelle Einzelschicksale.“
Eine Studienteilnehmerin wundert sich darüber, dass dafür bisher ein öffentliches Bewusstsein fehle. Das hat mich die letzten Jahre auch gewundert, bei all den Berichten über sexuelle Gewalt in Institutionen und der Filmindustrie. Es ging bisher viel um Jungs und Frauen. Das war erschreckend. Es kam mir dennoch so vor, als müssten meine Erfahrungen weiterhin totgeschwiegen werden.
Die Opfer hatten sich freiwillig zur Teilnahme an dieser Studie gemeldet, deshalb wisse man nichts über die tatsächliche Verbreitung sexueller Gewalt in Familien.
Eine andere Studienteilnehmerin stellt fest: „Es gibt keine nachhaltige Debatte über den Tatkontext Familie. Das muss sich dringend ändern.“
Beim Sport und der Kirche gebe es Institutionen, an die sich Betroffene wenden könnten, nicht so in der Familie. Es müssten neue Schutzkonzepte entwickelt werden. Auch im Nachhinein bleiben die Betroffenen wehrlos. Dass eine nachträgliche Aufarbeitung von der Familie oft nicht zugelassen wird, kann ich als Therapeutin bestätigen.
Deutsches Ärzteblatt/PP/Heft 10/Oktober 2021
Familien sind meist nach außen abgeschottete Systeme. Du hast völlig
Recht: Es braucht ein Bewusstsein und Anlaufstellen für die Betroffenen.
Das mit den Anlaufstellen hat sich schon verbessert, aber das
öffentliche Bewusstsein ist eher weniger geworden im Vergleich zu den
80er Jahren, oder kommt mir das nur so vor?
Es kommt mir auch so vor, Familien bekommen kein mediales Interesse. Und Frauen scheinen nicht offen miteinander zu reden.