Ein Sonntag allein

Wenn es etwas gibt, das mir Spaß macht, dann ist es das nichts tun. Denke ich. Aber wie geht das? Was bringt mich in Ruhe? Leicht kommt Langeweile in mir auf. Vor allem am Sonntag.
Lass‘ dir etwas einfallen, sage ich zu mir. Irgendetwas. Dir fällt schon etwas ein. Du könntest ins Fitness-Studio gehen. Aber da ist es am Sonntagvormittag voll, also lieber ein anderes Mal.
Ich überlege weiter: Ich könnte den Schal weiterstricken, aber dann verspanne ich meine Schultern. Ich trinke jetzt erst einmal einen Tee.
Ich sollte etwas tun, das mir gut tut. Bloß nicht rumhängen, das deprimiert nach einer Weile und ist nicht gesund. Wenn ich mich bewege, ist das gut für meinen Kreislauf und den Cholesterinspiegel.

Also was jetzt. Etwas tun. Eine merkwürdige Schwere in meinem Körper hindert mich daran. Soll ich mich etwa ins Bett legen? Am Sonntagvormittag um 11 Uhr? Das fühlt sich einsam, nutzlos, träge und unfähig an. Ich bin doch nicht krank.
Ich könnte spazieren gehen. Im Regen? Ich könnte. Muss das sein? Ein Schritt vor den anderen zu setzen kann ziemlich langweilig sein. Der Blick auf den See ist nicht erheiternd bei dem Nieselregen, man sieht ihn ja kaum. Trotzdem ist das die bisher beste Idee, denn es kommt von Innen kein Widerspruch.
Und wenn ich jetzt einfach hier sitzen bleibe und weiter Text produziere? Hm. Wo es doch draußen und virtuell viele Kontaktmöglichkeit gibt. Ob mir das wirklich gut tut, allein vor meinem Laptop zu sitzen? Ist das nicht ein Armutszeugnis und bestätigt, dass ich kontaktscheu, phlegmatisch, ideenlos und ein bisschen autistisch bin?

Also wie jetzt. Was will ich wirklich? Ich weiß es nicht. Ich setze mich jetzt in den Sessel und schaue hinaus, so lange, bis ich etwas spüre oder mir etwas einfällt, bis ein Impuls kommt, bis ich ganz von selbst aufstehe oder mich wohlfühle beim Sitzenbleiben. Hoffentlich lande ich nicht im Bett.
Nach einer Weile beruhigen sich die inneren Solls, die Fragen und Widersprüche. Rasch bin ich angezogen, gehe raus und spüre, wie ich beim Gehen atme, wie die feuchte Luft meine Haut belebt. Ich schaue über den See, und  ein paar Zeilen aus einem Gedicht von Goethe über die Seele fallen mir ein:
Wie gleicht die Seele des Menschen doch dem Wasser und sein Schicksal dem Wind.

Kommentar

Eine Freundin schreibt mir:
Ich habe Deinen neuen Eintrag gelesen und kann mich soo gut mit der Sonntagssituation identifizieren, die Du beschreibst: Plötzlich gibt es keine vorgegebene Struktur, ich könnte dies oder jenes oder noch was anderes machen, aber nichts davon packt mich wirklich.
Früher habe ich nach Sachen gesucht, die in meinem Leben fehlen. „Wenn ich nur eine Beziehung hätte, dann würde ich mit der Person jetzt was unternehmen. Warum hat diese Freundin mich nicht angerufen? Andere sind ihr wohl wichtiger“ etc.

Durch das Meditieren habe ich gelernt, anzunehmen, was gerade da ist, und wenn es Chaos ist, dann ist es das eben. Einfach dabei bleiben und sehen, wie es weiter geht. Aber zur Ruhe zu kommen, wenn vorher viel los war, das braucht immer ein bisschen.
Neulich dachte ich wirklich, dass es schön ist, mit mir zusammen zu sein! Und diesen Kontakt brauche ich auch (und sicher wir alle), mich bedingungslos anzunehmen, wie ich gerade bin.

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