Eine gute Mutter zu sein ist auch für mich manchmal ein innerer Konfliktstoff, da der Anspruch einerseits eine vertraute Seite von mir ist und andererseits steht er im Widerspruch zu meinem Wunsch nach Freiraum und Selbstverwirklichung, sodass es sich manchmal wie ein Riss in meinem Inneren anfühlt. Meine Patientin Eva erlebt einen solchen inneren Konflikt immer wieder, heute anhand der Verteilung der Räume in ihrem Zuhause.
„Wenn mein Mann im Homeoffice ist, fühle ich mich unfrei, so als würde er mich kontrollieren,“ eröffnet sie heute die Sitzung. Das habe ich schon öfter von Frauen gehört, die Mütter sind, sich um den Haushalt kümmern und berufstätig sind. Eva hat einen anstrengenden Job.
Ihr fällt auf, dass die Tochter und ihr Mann ein Zimmer für sich haben, während sie in einer Ecke im Schlafzimmer einen kleinen Schreibtisch und einen Sessel für sich hat. Manchmal zieht sie sich in den Keller zurück, bügelt und legt Wäsche zusammen, um eine zeitlang für sich zu sein.
Auf mein Nachfragen hin bemerkt Eva einen Druck in der Herzgegend.
Wir arbeiten eine Weile damit und mit ihren Gefühlen und den Gedanken dazu, bis sie sich zu der Überzeugung verdichten, dass sie sich keinen Raum nehmen darf.
Eva hat plötzlich eine Idee: sie könnte das Wohnzimmer für sich zu beanspruchen.
„Mein Mann müsste anklopfen, aber die Kinder nicht.“
Ich finde die Idee richtig gut. Wie sie denn das Zimmer gestalten würde?
„Vogelwild!“ sagt Eva strahlend, „nach meinen eigenen Bedürfnissen!“.
Dann fällt ihr ein, dass die zweite Tochter, die seit Kurzem in einer nahegelegenen Stadt lebt, möchte, dass zu Hause „alles so bleibt, wie es ist“. Evas Gesichtsausdruck verändert sich jetzt entsprechend dem innerlich zusammengefallenen Kartenhaus in Richtung Resignation.
Ich halte dagegen: „Ich kenne diesen Wunsch von Kindern, die das Elternhaus verlassen haben, sie möchten immer wieder ins vertraute Nest zurückkehren, aber die Tochter verändert sich und Sie als Mutter auch!“ Eva nickt und findet die Situation jetzt unfair.
„Das klingt nach Motherism“, sage ich spontan, ohne nachzudenken, einfach in der Vorstellung, dass Eva ein Ideal von Mütterlichkeit verinnerlicht hat, ein Muster von Erwartungen an diese Rolle, die sie selbst zu stark einschränkt.
Meine Mutter hat sich „nur aufgeopfert“, sagt Eva.
Später finde ich per Internetrecherche heraus, dass es zwei Bedeutungen von Motherism gibt: die Diskriminierung von Nur-Müttern und die Wertschätzung von Mütterlichkeit als liebevolle Fürsorge für andere und die Umwelt. Da lag ich wohl falsch.
Mir ging es um die Erwartungen an „die gute Mutter“, die sich einschränkt, weil sie das Ideal verinnerlicht hat, meist ohne es zu merken. Als Forschungsthema ist „die Mutter als weibliche Person“, Anspruch und Realität, so gut wie nicht vorhanden.
Es existiert ein gesellschaftliches Rollenbild, das besonders von berufstätigen Müttern kaum mehr zu erfüllen ist, aber innerlich noch wirkt. Nach aktuellen Forschungsansätzen besteht Muttersein vor allem in einem grundsätzlichen, umfassenden Verantwortungsgefühl für den Nachwuchs, was die körperliche Sicherheit, die seelische Zufriedenheit und die gesamte Entwicklung betrifft.
Immer wieder sitzen Mütter vor mir mit schlechtem Gewissen, Schuld- und Versagensgefühlen, weil ein jugendlicher Sohn oder die Tochter sich nicht gemäß den Normalitätsanforderungen entwickelt. Der Partner bleibt dabei seltsamerweise außen vor.
Und viele Frauen haben in den Häusern und Wohnungen kein eigenes Zimmer, sie sorgen für die anderen. Eva sieht die Situation jetzt anders. „Ich werde das Wohnzimmer umräumen, wie ich will!“
Damit geht sie lachend zur Tür raus. Was für ein mutiger Entschluss. Und gleichzeitig denke ich: Wieso auch nicht?
Höchste Zeit zum Umdenken! Gebt den Müttern mehr Raum!
Erschütternd, dass etwas, das eigentlich selbstverständlich sein sollte und schon seit über einem halben Jahrhundert thematisiert wird (oder noch länger), nämlich dass auch die Frau und Mutter einen angemessenen Raum braucht, fast einer kleinen Revolution gleichkommt.