Luisa, das Übergewicht und die Selbstliebe

Venus

„Immer wenn ich mich freue, denke ich gleichzeitig: vergiss‘ nicht, dass du fett bist!“
Ich reagiere betroffen.

Luisa hat gerade einen Erfolg gefeiert, ein Bild von ihr wurde für eine Ausstellung angenommen. Ich möchte, dass sie sich darüber rückhaltlos freuen kann!
Auf mein Nachfragen hin kann sie ihr schlechtes Gefühl zu sich selbst im Körper verorten: „Das sitzt im Bauch“, sagt sie, „der fühlt sich an, wie ein Sack voll Unrat. – Ich will den weghaben!“ Auch wenn mein Bauch mir manchmal zu dick vorkommt, erschrecke ich doch über die Vorstellung von Luisa.

Ich kenne Luisa schon länger. Dass sie so über sich denkt und spricht, hat Ursachen in ihrer Familiengeschichte, und ich kann gut verstehen, dass sie sich schwer annehmen kann. Vom Vater ungewollt, aufgewachsen mit einer psychisch labilen Mutter und wissend von Halbgeschwistern, die sie nicht kennenlernen durfte. Es dauert lange, sich da rauszukämpfen.
Aber wie kann ich ihr wirksam helfen? Manchmal wünsche ich mir eine „Selbstakzeptanzpille“, die ich meinen Patient*innen verschreiben kann. Scheinbar muss der Weg zur Selbstliebe aber lang, steinig, sumpfig, neblig und voller Hindernisse sein.

Ich biete ihr an, das negative Gefühl im Bauch mit dem Erfolgsgefühl in der Brustmitte zu verbinden. „Ich habe mir schon gedacht, dass ich das Gefühl, dass ich Scheiße bin, akzeptieren muss“. Naja, einfach mal wahrnehmen, da sein lassen, es erkunden, welche Farbe hat es und welche Überzeugung hängt damit zusammen?
Dann wenden wir uns dem guten Gefühl zu und verbinden es ebenso assoziativ mit einem Bild, Tönen und Worten. Das fühlt sich gut für Luisa an, hell und stark, und sie verweilt etwas länger an diesem Körperort. Sie würde sich am liebsten immer so fühlen…

Dann kommt jedoch das Entscheidende, wie ich es von Peter Levine gelernt habe, sie Methode heißt „Somatic Experience“, und dabei geht es um das Pendeln zwischen traumatisch-negativen und gegenteilig-positiven körperlichen Gefühlszuständen.
Luisa merkt nach einer Weile, nachdem sie zwischen „Ich bin Scheiße“ und „Ich kann Erfolg haben“ und zwischen Bauch und Brustmitte gependelt ist, dass sie sich leichter fühlt, und es überzeugender wird, dass sie Erfolg haben kann. „Eigentlich ist es klar“, meint sie, „ich sehe ja, dass ich Erfolg habe, andere erkennen an, was ich mache mit meiner Kunst, aber gleichzeitig bin ich manchmal Scheiße oder fühle mich so.“

In der nächsten Stunde ging es dann um die Depressionen ihrer Mutter und die Wirkung, die sie auf sie als Kind gehabt hatten. „Ich hatte manchmal das Gefühl, nicht da sein zu sollen, und gleichzeitig liebe ich meine Mama und sie mich“.
Innere Widersprüche und negative Überzeugungen kenne ich auch. Manchmal scheinen sie unlösbar, und dann braucht es so etwas wie eine Anleitung, um sie lösen zu können. Und manchmal reicht es, sich zu trauen, sie anzunehmen und sich ihnen zuzuwenden, am besten mit einer Freundin oder einem Freund, um wieder den inneren Frieden zu spüren – eine Weile wenigstens – und dass man liebenswert ist.

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